von Britta Bonten veröffentlicht auf LinkedIn 27. Januar 2021
Kürzlich scrollte ich während eines Mittagstiefs durch einen der täglichen Newsletter DER SPIEGEL. Ich blieb bei einem Artikel hängen, in dem es um einen nicht abgeholten Lottogewinn ging. Am Ende las ich „[…] Der oder die gesuchte Person…!“ Ich schaute immer wieder auf die Textstelle und glaubte mich verlesen zu haben.
Der oder die Person – eine neue Variante des Genderns als etwaiges Gegengewicht zum generischen Maskulinum? Und wenn es ein genderneutraler Versuch sein soll, dann wäre folgerichtig das Person für alle die zu nennen, die sich nicht zwischen weiblich und männlich entscheiden wollen oder können.
Sprache ist nie statisch, fertig oder am Ziel
Sie unterliegt einer stetigen Veränderung durch neue Begriffe, Redewendungen und Neuschöpfungen der sog. Jugendsprache. Denken wir an Ausdrücke wie Distanzlernen, posten oder taggen. Unsere Sprache ist ein Spiegel dessen, was uns als Gesellschaft, als Menschen bewegt und umgibt. Und so wie wir neuen Entwicklungen begegnen, Neues erfinden, benötigen wir Beschreibungen und Begriffe. Wer außer uns sprach vor einem Jahr von Inzidenzwert, zoomen (im Kontext mit Videokonferenzen), Distanzunterricht oder Reproduktionswert? Und mit AHA verbindet man als Kind der 80er etwas völlig anderes als Abstand, Händewaschen und Alltagsmasken!
Wenn Worte von gestern zu Taten von morgen werden
Sprache setzt Wandel voraus und nur wenn sich Dinge ändern, verändert sich Sprache. Beides bedingt sich gegenseitig. Was wir auf dem traurigen Höhepunkt der jüngsten Ereignisse des Kapitols in Washington erleben mussten, ist das sichtbare Resultat von verbaler Gewalt! Gedanken gleichwelcher Art bestimmen unsere Sprache und umgekehrt bestimmt Sprache unser Denken und folglich unsere Taten (hierzu empfehle ich ein Interview mit dem Linguisten Anatol Stefanowitsch)! Nicht umsonst hat sich nach jahrelangen, vergeblichen Versuchen gezeigt, dass wir nur MIT einer Quote mehr Frauen in Führungsgremien sehen werden – und das nach mehr als 15 Jahren mit einer Frau an der Regierungsspitze!
Diverse Teams sind erfolgreicher
Wenn Frauen in deutschen Unternehmensführungen immer noch unterrepräsentiert sind, und selbst viele Männer inzwischen die Frauenquote befürworten, dann stehen die Zeichen auf Trendwende. Doch es geht um mehr als „nur“ um Männer und Frauen. Was wir in den Unternehmen brauchen sind diverse Teams bezogen auf Alter, Geschlecht, Herkunft, kulturellen Hintergrund, kognitive Präferenzen usw. Die McKinsey-Studie zeigt, dass heterogene Teams produktiver arbeiten und finanziell bessere Ergebnisse erzielen. Allein diese Erkenntnisse müssten genügen, dass die Unternehmen ihre Stellenanzeigen sprachlich genderneutral formulieren – was über m/w/x oder d hinausgeht!
Was, wenn wir Diversität mit Sprache säen?
Wie stark wir Gleichberechtigung im Alltag tatsächlich leben, lässt sich an unserem Sprachgebrauch ablesen. Ein gleichberechtigtes und diverses Miteinander umspannt alle gesellschaftlichen Gruppen, auch Minderheiten: Denken wir an Personen mit Behinderung, BIPoC und Menschen unterschiedlicher Religionen und viele mehr. Wenn sich alle Gruppen sprachlich wiederfinden, werden sich Diversität und Inklusion leichter tun, denn Sprache schafft Bewusstsein! Wir brauchen ein Bewusstsein, das sowohl die Geschlechtergerechtigkeit anerkennt und akzeptiert, als auch über das binäre System von Frau und Mann hinausgeht. Das verlangt viel von einer konservativ geprägten Kultur. Fakt ist: Wir unterliegen dem Wandel, der sich in einer veränderten, sensiblen und zeitgemäßen Sprache niederschlägt. Ob wir wollen oder nicht.
Für diverse und schöne Sprache
Wir müssen wegkommen von alten Zöpfen wie dem generischen Maskulinum, das seit Jahrhunderten ein zementiertes Denkmuster ist. Es gibt sprachliche Instrumente jenseits von Gendersternchen* oder Binnen-I, mit denen wir sprachliche Altlasten und Verkrustungen durchbrechen können. Richtig eingesetzt, können wir sogar gut lesbar schreiben: Denn was nutzt ein genderneutraler Text, wenn wir ihn wegen seiner „Schönheitsfehler“ nach zwei Zeilen zur Seite legen?
In den nächsten Wochen möchte ich regelmäßig Fragen aufgreifen, die mit genderneutraler und inklusiver Sprache zu tun haben: Welche sprachlichen Mittel zur inklusiven Sprache können wir in Texten nutzen? Was bedeutet inklusive Sprache? Und wie bleiben Texte lesenswert? Warum brauchen wir keinen generischen Maskulin? Und: Warum ist es bspw. angesichts von Arbeitskräftemangel schlau, als Unternehmen alle potenziellen Arbeitskräfte sprachlich anzusprechen und nicht nur männliche oder weibliche je nach Stellenfokus?
Zurück zu der oder die Person. Der Person ist schlichtweg grammatikalisch falsch, da das Substantiv feminin ist. Ich unterstelle einen, na sagen wir, plumpen Versuch seitens DER SPIEGEL, sich vermeintlich gendergerecht ausdrücken zu wollen! Sexus und Genus von die Person ist übereinstimmend weiblich und im Singular unveränderlich wie der Mensch, das Wesen. In diesen generischen Formen sind jeweils alle biologischen Geschlechter gemeint – wir sagen ja auch nicht die/das Mensch oder die/der Wesen! Ergo, die Person ist ein weibliches Substantiv und schließt alle Geschlechter ein! Somit ist der männliche Artikel überflüssig.
Der Duden teilte im Übrigen erst kürzlich mit, zukünftig in seinem Online-Duden gendern zu wollen. Nach und nach sollen bspw. die Berufsbezeichnungen aktualisiert werden und mit sowohl weiblicher als auch männlicher Form erscheinen.
Ihnen schießt eine Frage zum Thema Gendern durch den Kopf oder Sie haben besondere Erfahrungen gemacht – prima! Wer von Ihnen weitere Themenwünsche zu gendersensibler, inklusiver Sprache hat, hinterlässt diese gerne im Kontaktformular. Ich freue mich auf ein facettenreiches Themenbündel und eine kontroverse Diskussion!
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